Redebeitrag RaR

Hallo, das ist das erste Mal, dass ich ein Rede bei einer Demo halte. Ich hatte schon seit mehreren Jahren das Gefühl, dass ich etwas zu sagen habe und so langsam finde ich Worte, um meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

Ich stehe hier heute vor allem für mich selbst, denn ich bin verletzt und wütend und ich möchte dieser Verletztheit und dieser Wut Ausdruck verleihen und damit gesehen werden.

Als erstes werde ich über die Verletzung reden und danach über meine Wut.

Manche kennen das vielleicht, wenn man auf der Straße von fremdem Menschen etwas länger angeschaut wird als eigentlich nötig wäre und diese Blicke nicht von Interesse und Freundlichkeit zeugen, sondern von Ekel, Verwirrung und Empörung.

Diese Art der Blicke kenne ich mittlerweile nur allzu gut. Sie wurden mehr, als ich mir vor einigen Jahre meiner Haare kurz rasierte, sie wurden mehr, als ich begann mich so anzuziehen, wie es mir gefällt und sie wurden mehr, als ich letztes Jahr von Osnabrück nach Dresden zog.

Manchmal geht es weiter als Blicke, schon öfter wurde ich von fremden Menschen, vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln, intime Fragen gefragt wie: “Bist du ein Mann oder eine Frau?”, “schade du bist hübsch”, “Wie ist das eigentlich bei dir vom Phänotyp”?

Diese kleinen, aus Ignoranz geborenen Seitenhiebe tun weh, weil sie immer und immer wieder den selben Punkt treffen. Diese Mikroaggressionen machen mir Angst, vor noch größeren Aggressionen. Und plump gesagt, sie fucken mich ganz einfach ab.

Wer versteht wen?

Ich identifiziere so ziemlich auf allen Ebenen als Queer.

Vor kurzem habe ich nochmal reflektiert und über mein Leben nachgedacht und ein Muster darin entdeckt. Mein ganzes Leben habe ich versucht, die Mehrheit, die Norm, zu verstehen. Wie ist es für eine Frau, einen Mann gut zu finden? Wie ist es, cis zu sein? Es war ein langer Prozess und zu einem gewissen Grad, denke ich, kann ich mich die Norm hineinversetzen. Ich habe schließlich lange genug versucht mich anzupassen und nicht aufzufallen… einfach „normal“ zu sein.

Dann ist mir aber noch etwas aufgefallen: Es reicht mir, ich bin erschöpft und müde. Ich bin müde davon, mich immer wieder in Menschen hineinzuversetzen, vor allem wenn oft so viel weniger zurückkommt. Es ist längst überfällig, dass die Mehrheit versucht die Minderheiten verstehen, nicht nur in queeren Kontexten.

Liebe nichtqueers: bildet euch! und versucht die Lebensrealitäten von queeren Menschen und auch anderen Minderheiten besser zu verstehen. Bildet euch und bildet euch vor allem selbstständig! Nötigt queere Menschen nicht, die ganze Bildungsarbeit für euch zu übernehmen. Es ist extrem anstrengend, ermüdend und frustrierend.

Nicht nur im Thema Bildung wird oft die Verantwortung auf die Betroffenen abgewälzt. Auf meinem persönlichen Weg in Bezug auf Geschlecht wurde immer wieder die folgende Frage an mich herangetragen: Gäbe es wohl noch trans menschen, wenn die Gesellschaft anders wäre, wenn sie egalitärer wäre, wenn sie nicht so rigide Geschlechternormen hätte? Gäbe es dann immer noch Menschen, die das Bedürnis hätten, ihren Körper zu verändern, ihr „Geschlecht zu wechseln“?

Man kann die Frage auch ander stellen: Sind die Narben auf den Körpern von trans Menschen eigentlich Narben die von den Wunden des ständigen Hasses, des ständigen Drängens, sich zuzuordnen, zurückbleiben?

Das ist zwar eine sehr interessante und wichtige Fragen aber momentan ist sie irrelevant. Denn Fakt ist, dass die Gesellschaft nicht anders ist, sondern: sie ist wie sie jetzt ist. Und jetzt momentan wird anders sein noch durch große und kleine Gesten bestraft und man kann in seinem Entscheidungsprozess nicht davon ausgehen, dass sich das in ein paar Jahren radikal ändern wird.

Prioritäten und Wut

Daher ist die Priorität, nicht über solche Fragen ewig zu philosophieren, sondern eine gerechtere selbstbestimmte Gesellschaft zu schaffen.

Die Lösung ist nicht, Zugang zu körperangleichenden Maßnahmen zu erschweren und cis Therapeut*innen in Zwangstherapien darüber entscheiden zu lassen, wer jetzt trans genug ist.

Sondern die Lösung ist es, die Rigidität der Geschlechterrollen aufzuweichen. Damit meine ich nicht, sie aufzulösen, damit meine ich Graustufen und und Buntheit zulassen zu können, Unterschiedlichkeit willkommen heißen und zu feiern. Denn Diversität ist nunmal genau das: voll feierlich.

Das sind die Umstände die mich oft verletzen. Jetzt möchte ich über Wut sprechen.

Vor allem bei strukturell diskriminierten Gruppen wird oft deren Wut ins Lächerliche gezogen. Das ist eine sinnvolle Taktik, wenn man jemanden in einer untergeordneten Position behalten will, denn Wut ist stark und da, um uns zu schützen.

In den letzten zwei Jahren habe ich angefangen meine Wut wieder neu kennenzulernen. Sie ist mir wohl, wie so vielen weiblich sozialisierten Menschen, zumindest teilweise aberzogen worden. Auch in meiner Kindheit habe ich meistens eher zerstörerische Wut kennengelernt, wodurch diese für mich eine negative Konnotation bekommen hat.

Mittlerweile sehe ich, dass Wut unglaublich super, unglaublich stark und unglaublich wichtig ist. Wut schafft Klarheit und zeigt uns, wo eine Grenze erreicht ist und gibt uns die Kraft, diese zu verteidigen.

Empowerment

Ich will euch dazu ermutigen wütend zu sein, zu sagen: die Grenze ist erreicht, es muss sich was ändern.

Ich will euch ermutigen euch mit eurer Wut anzufreunden.

Wie ich so meine Wut in den letzten Jahren mehr und mehr kennengelernt habe, hab ich erkannt, dass diese eine klare, starke und auch sanfte Qualität hat. Sie hilft mir aus einer gelähmten Opferposition, in der es auch manchmal sehr gut und valide ist eine Zeit zu verharren, in eine schöpferische Haltung zu kommen.

Und damit möchte ich noch einmal Werbung für die queere Hochschulgruppe machen, die ich vor einigen Wochen und mit Hilfe einiger Menschen mit genau dieser Kraft wiederbelebt habe.

Die Gruppe heißt Radicals Rainbows, was mich sehr glücklich macht. Wir sind zwar queer und cute aber wir sind auch radikal und wütend.

Falls ihr eine queer Community sucht, kommt vorbei, wir teffen uns immer am ersten Mittwoch im Monat um 18 Uhr bei der Stura-Baracke, ihr findet uns aber auch bei Instagram.

Bleibt wütend und bildet Banden!

Danke für eure Aufmerksamkeit.