Anfangs erscheint das Meer aus Köpfen und Flaggen undurchdringlich. „Es war kein Überblick möglich“, erinnert sich Ira von der Queer Pride Dresden. Als wir dann zur Brücke kommen, schwimme ich durch die Menge zur Brückenseite. Von dort sehe ich den Menschenzug vor uns, der am Donauufer langgeht. Ein Ende ist nicht zu sehen. So war das vor wenigen Tagen bei der Budapest Pride am 28. Juni.

Was machen wir in Budapest? Die faschistische Fidesz-Regierung unter Führung von Viktor Orbán hat neben Flüchtlingen auch queere Menschen als Sündenbock auserkoren. Wir dienen als Ablenkung davon, dass unser Wirtschaftssystem nicht der großen Masse an Menschen dient.
Die bisherige Krönung dieser Queerfeindlichkeit in Ungarn ist ein Gesetz, dass seit diesem Jahr öffentliche queere Veranstaltungen verbietet. Zuwiderhandelnde können mit Gesichtserkennungssoftware verfolgt und mit bis zu 500€ Geldbuße bestraft werden. Natürlich widersetzen wir uns da!
Verbindungen ins Umland und nach Osteuropa waren uns schon immer wichtig. Seit der ersten Pride in Dresden, sind auch Angereiste aus Polen und Tschechien mitgelaufen. Umgekehrt ist diese Unterstützung natürlich genauso wichtig. Mit Ungarn ist es nicht anders.
Die queerfeindliche Welle, die mit dem wiedererstarken des Faschismus kommt, macht uns allen viel zu schaffen. Wie dieses Jahr gezeigt hat, braucht es keine Gesetze, um queere Demonstrationen zu verhindern. Aber auch in Sachsen und dem Rest von Deutschland könnten uns solche Verbote drohen. Die AfD macht kein Geheimnis daraus, dass sie zu Autokratien, wie die von Orbán, aufschauen. Sie sind ihr Vorbild für was sie tun wollen, wenn sie das Steuerruder übernehmen. So schützen wir mit solidarischem Widerstand auch uns selbst. Keine Freiheit für manche Queers ist eine Bedrohung der Freiheit aller Queers.
Aus diesen Gründen fuhren wir dieses Jahr zur Pride in Budapest. Gemeinsam reisten wir in zwei Bussen in der Nacht auf Freitag an.
An dieser Stelle ein großes Danke an Solibus e.V.! Nicht nur haben sie die An- und Abreise organisiert, sondern sich auch um eine Unterkunft gekümmert. So konnten Aktivist*innen und Journalist*innen aus der Berliner Region, sowie 15 Personen aus Dresden und Leipzig unbeschwert anreisen.
Am Samstag um 15 Uhr war es soweit: Wir gingen gemeinsam zum Platz vor dem Rathaus, wo schon eine Stunde vorher eine riesige Menge an Menschen da war. Wir reihten uns in den antifaschistischen Block ein und warteten auf den Beginn. Aber wirklich ins Rollen kam der Zug erst etwa 90 Minuten später.
Der Grund für die Verzögerung war, dass Rechtsextremisten die Freiheitsbrücke blockierten. Über diese sollte die Demo ursprünglich gehen, wurde dann aber auf die Erzsébe-Brücke umgeleitet. Schließlich, um etwa 19:30 endete der Zug auf der anderen Donauseite.
Mein Highlight der Demo war geradlinig auf die Brücke zuzulaufen. Dahinter konnte ich schon den riesigen rosa Winkel sehen, der vom Gellért-Hügel heruntergelassen war. Später ließen andere ein Transparent mit der Aufschrift „Free Maja“ darüber herunter.

Majas Fall war das andere große Thema auf der Pride. Dazu wurden auch kräftig Flyer verteilt. Maja wird beschuldigt in Ungarn in einer Gruppe gewalttätig gegen Rechtsextreme vorgegangen zu sein. Dies führte zur Verhaftung in Deutschland, und später zur unrechtmäßigen Auslieferung nach Ungarn.
Nun sitzt Maja in einem Land im Knast, dass nichtbinäre Personen wie Maja nicht anerkennt. Dort ist Maja jetzt schon seit Monaten in Isolationshaft – das ist Folter! Die Situation ist so schlecht, dass Maja vor knapp einem Monat zum extremsten Protestmittel griff: ein Hungerstreik. Budapest Pride markierte den 24. Tag des Protests.
Seitdem hat sich Majas Gesundheitszustand deutlich verschlechtert. Am 1. Juli wurde Maja in ein Gefängniskrankenhaus eingeliefert. Es ist eine Schande, dass sich die Bundesregierung bis heute noch nicht einmal zu diesem Unrecht, dass Maja angetan wurde und wird, geäußert hat. Free Maja!
Die Budapest Pride war ein voller Erfolg. Nicht nur wurde auf die schlechte Situation queerer Menschen in Ungarn aufmerksam gemacht, sondern es kamen unter diesem Banner eine gewaltige Menge an Menschen zusammen. Die Veranstalter*innen gehen von ca. 200 Tausend Teilnehmenden aus. Das macht es zum größten queeren Event in der ungarischen Geschichte!

Orbáns Antwort auf diesen historischen Protest war erwartbar: die Pride sei auf Befehl der EU durch ihre linksliberalen Kompliz*innen in Budapest organisiert. Zwar stimmt, dass sich für die Pride Stimmen in der EU-Führung stark gemacht haben, und dass unter den Angereisten auch EU-Politiker*innen waren. Trotzdem ist das eine massive Lüge.
Wie viele von den Tausenden angereist waren lässt sich schwer sagen. Es gab allerdings ein offizielles Vortreffen für international Angereiste um 14 Uhr. Bei der Menge an Menschen, die sich dort sammelte handelte es sich höchstens um wenige Hundert. Die allermeisten Leute kamen eindeutig aus der Stadt und dem Umland. Nichts davon ist überraschend. Wenn das Pride-Verbot im ganzen Land gilt, wird sich der Widerstand dazu in den Metropolen sammeln, wo die Menge an Menschen mehr Sicherheit bietet.
Außerdem hatte ich den Eindruck, dass viele Leute die da waren normalerweise nicht demonstrieren. Viele Demoschilder hatten keinen Bezug zu queerer Politik, sondern trugen Begriffe wie Freiheit oder Demokratie. Die Pride ist offensichtlich zu einem breiterem Symbol gegen das Fidesz-Regime geworden. Das hieß aber auch nicht, dass sich queere Themen dem unterordnen mussten. Wir liefen Seite an Seite: für queere Befreiung und gegen die Landesregierung.
Jetzt mag die Frage aufkommen: tausende Menschen in Budapests Straßen sind ja schön und gut, aber wie wird das nachhaltig die Situation in Ungarn verbessern? Ich denke, dass solche Momente viele Menschen politisch aktiviert. Eine große Menschenmasse wie in Budapest ist stark inspirierend. Es zeigt, dass Solidarität nicht nur ein Wort ist, sondern, wenn gelebt, kann es das unmöglich scheinende plötzlich möglich machen. Klar, die Pride war theoretisch verboten, aber praktisch konnte die Polizei das Stattfinden der Demo nicht verhindern. Ihre Zahlen reichten gerade mal aus, um die Zugänge zur Route und die paar Dutzend Faschisten an der Seite abzusichern.
Der 28.06.2025 zeigt: vieles ist möglich – auch in Ungarn. Aber damit es so bleibt, dürfen wir die Menschen in Ungarn nicht vergessen, denn Solidarität ist gelebte Praxis. Informiert euch wie ihr Queers in Ungarn helfen könnt, sprecht über Maja, und bleibt auf dem Laufenden, ob Pride-Teilnehmer*innen mit Bußgeldern oder Schlimmeren verfolgt werden.
Kommt mit zur Budapest Pride 2026 – ihr seid herzlich eingeladen. Unser queerer Befreiungskampf wird siegen, denn wir sind für einander da!